Talent?...

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Hier möchte ich eine kurze Zusammenfassung über die Kernaussagen geben, die Geoff Colvin in seinem Buch „Talent is overrated – what really separates World-Class Performers from everybody else“ („Talent wird überschätzt – was Weltklasse-Performer wirklich von allen anderen unterscheidet“) trifft.

Der Schluss, der im Buch gezogen wird, ist schlichtweg: es gibt kein Talent. Zumindest nicht in dem Sinne, wie wir es meistens verstehen. Es gibt also keine besondere Begabung, die jemand wundersamer Weise hat, und andere gemeinerweise nicht. Dies gilt nicht nur für Sportarten, sondern auch für das Musizieren und also auch das Singen.

Was unterscheidet dann also (in unserem Fall) erfolgreiche Sänger*innen von weniger erfolgreichen?

Geoff Colvin schreibt, dass Erfolg nicht alleine von irgendwelchen Erfahrungen abhängt, die man im Leben sammelt. Auch der Glaube daran, dass außergewöhnlich erfolgreiche Leute ein Talent, eine Begabung, einfach so in sich tragen, ohne dass sie es in irgendeiner Weise beeinflussen konnten, ist nicht wahr. Wenn wir an diese zwei Erklärungen über Erfolg glauben, dann glauben wir auch, dass die Ursache von Erfolg nicht in unseren Händen liegt. Und das ist falsch. „Great Performance“, eine gute Leistung abzuliefern – sprich Erfolg zu haben – liegt weit mehr in unseren Händen als die meisten von uns jemals gedacht haben.

Dabei möchte ich anmerken, dass Erfolg jeder für sich selbst definieren kann und sollte. Für den einen kann es erfolgreich sein, eine erste CD aufgenommen zu haben. Für die andere, die erst seit einem Jahr mit dem Singen begonnen hat, kann Erfolg möglicherweise heißen, eine Melodie im gemeinsamen Singen mit anderen sicher halten zu können. Wichtig ist, sich nicht mit anderen zu vergleichen, sondern bei seinen eigenen Zielen zu bleiben.

Zurück zum Talent. Es geht also nicht um Talent. Sondern alles was dahinter steckt, ist wohldurchdachtes Training (also Üben). Untersuchungen zeigen außerdem, dass dieselben Aufgaben, die Menschen vor vielen Jahren lösen mussten, heutzutage auf einem viel höheren Niveau ausgeführt werden. Das liegt auch daran, dass unsere heutige Lebensweise unter dem Druck von Kommerz und Wettbewerb den Menschen in jedem Bereich große Leistungen abverlangt, um zu überleben. Die knappe Ressource ist somit nicht mehr Geld, sondern menschliche Leistung.

Der Autor nennt Studienergebnisse, die aufzeigen, dass es (angeborenes) Talent nicht gibt. Nimmt man beispielsweise die Gewinner von Musikpreisen, so wurde nachgewiesen, dass der Unterschied zwischen denjenigen Studenten die gewinnen und denjenigen die verlieren, einfach in der Anzahl der geübten Stunden liegt. Studien zeigen auch, dass (für ihre Leistung) berühmte Persönlichkeiten eine sehr frühe und intensive Förderung von ihren Eltern bekommen haben. Er nennt Mozart und Tiger Woods, die beide Väter hatten, die Experten im Unterrichten von Kindern und zugleich fanatisch in der Ausübung von Musik bzw. Golf waren. So hatten also Mozart und Tiger Woods so früh als möglich und so intensiv wie möglich von kleinsten Kindesbeinen an professionellen Unterricht, und das über Jahre hinweg.

 

Auch ein hoher Intelligenzquotient und eine hohe Gedächtnisleistung spielen laut dem Buch unter Heranziehung von verschiedenen Studien keine große Rolle. Vielmehr basiert Erfolg auf dem spezifischen Training, das man so jung wie möglich begonnen hat.

Das heißt natürlich auch, dass ich, wenn ich mit 40 Jahren mit dem Singen beginne, keine berühmte Opernsängerin mehr werden kann. Die vielen Stunden, die man dafür investieren müsste, sind wahrscheinlich im alltäglichen Leben nicht unterzubringen. Aber ich kann mir realistische Ziele setzen und um diese zu erreichen, gezielt üben.

Es muss allerdings wohl durchdachtes Üben sein („deliberate practice“). Das ist aufgrund der verschiedenen Betrachtungsweisen von außen nur mit einem Coach oder Lehrer möglich. Man muss bestimmte Aspekte der Tätigkeit identifizieren, isolieren und diese üben, bevor man zum nächsten Aspekt geht. Bestimmte Schlüsselfaktoren helfen dabei, gezielter zu üben:

  • Das Wiederholen einer spezifischen Tätigkeit, die gerade so außerhalb unseres Kompetenzbereiches liegt
  • Die Anzahl der Wiederholungen
  • Feedback
  • Fokus
  • Konzentration
  • Das Bewusstsein, dass es keinen Spaß macht
  • Das Vermeiden von Automatismus
  • Das Aufbauen und Entwickeln von Wissen
  • Das Aufbauen von Gedächtnisfähigkeiten
  • Das Aufbauen von Sachverstand (Expertise)
  • Das gezielte Aufbauen von Myelin (die Membran, die Nerven schützt)

 

Da heißt also für jeden Einzelnen von uns, die erfolgreich und effektiv üben wollen:

  • die nächsten Schritte identifizieren
  • sich einen Mentor suchen
  • verschiedene Methoden von gezieltem Üben anwenden
  • das Geübte anwenden
  • effektive Selbstregulation vor, während und nach dem Tun anwenden
  • mentale Modelle lernen, also Strategien, Gelerntes bewusst anzuwenden

 

Was das im Besonderen für das Singen und das Üben in unserem Metier bedeutet, dazu schreibe ich im nächsten Blog über „deliberate and deep practice“, gezieltes Üben.

 

Bis dahin, viel Erfolg!

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